CD jw 157 RÜDIGER KRAUSE
A GUITAR NAMED CARLA

RÜDIGER KRAUSE electric guitar, western guitar, baritone guitar, classical guitar, pitch shifted hum noise, guitar synthesizer, voice & e-bow
feat.:
CARLA BLEY piano & STEVE SWALLOW bass (track 11)
DE
EINE GITARRE NAMENS CARLA
In den achtziger Jahren hatte jeder meiner Mitschüler in Magdeburg einen Lieblingsmusiker aus Synthie Pop, NDW oder New Wave, dessen Musik er am Radio auflauerte, um sie auf Kassette aufzunehmen. Man erkannte seine Idole am Sound und an der Frisur. Ich liebte es, in diesen Dingen ein Außenseiter zu sein, hörte Beethoven und Bach, fand, dass seit den Beatles nichts bedeutendes mehr in den Charts gewesen war und fing gerade an, den Jazz für mich zu entdecken. In der Zeitschrift ‚Melodie und Rhythmus‘ sah ich mir die Fotos der ungeschliffenen Typen an, die auf den Jazzfestivals in Warschau oder Ostberlin auftraten. Mittendrin eine Frau mit blonder Golem-Frisur und wunderschönem Lächeln, von der man schrieb, dass sie etwas ganz besonderes, eine Jazzkomponistin, sei. Ich hatte meinen Schwarm gefunden. Fehlte dem Teenie nur noch der Sound zur Frisur. Die Stasi-Akte meiner Eltern beschreibt einen Familienausflug nach Sanssouci. Meine Großeltern aus Hannover waren zu Besuch, und wir fuhren alle im Mercedes vor unseren Beobachtern her. Unser Spaziergang durch den Schlosspark wurde als sehr eilig und gehetzt registriert. Die Stasi fand keinerlei Erklärung dafür. Wussten sie doch nicht, dass die Familie sich auf den Schnell-Durchlauf eingelassen hatte, damit der 15jährige Sohn rechtzeitig zu Hause am Radiorekorder sitzen konnte, um um 15.00 Uhr die Carla Bley-Sendung aufzunehmen. Eines der großen ungelösten Rätsel der Geheimdienste! Mit den ersten Takten von Carla Bleys ‚La Paloma‘-Bearbeitung begann eine Liebe fürs Leben. Jede Platte, die ein Magdeburger Jazzfan zu Hause hatte, musste ausfindig gemacht und überspielt werden. Was keiner hatte, kam auf den Wunschzettel für die Hannoveraner. Michael Naura brachte im NDR2 ganze Konzerte der Carla Bley Band. ‚Útviklingssang‘, ‚Reactionary Tango‘ und ‚Lawns‘ wurden Dauerohrwürmer. Meine Fender-Gitarre, von den Großeltern über die innerdeutsche Grenze geschmuggelt, erhielt den Namen Carla.

Als Carla Bleys Trio Mitte der 90er erstmalig nach Dresden kam, konnte ich sie endlich persönlich kennenlernen, backstage betreuen und eine Signatur auf meiner Gitarre namens Carla bekommen. Bei ihren Konzerten sah ich dann Carla Bley immer wieder und freute mich, dass sie sich an mich und meinen schwer auszusprechenden Namen erinnerte. Ich hatte auch die Courage, meinem Idol meine eigenen Kompositionen vorzuspielen und fühlte mich durch ihre Anerkennung ermutigt, einen lange gereiften Traum zu verwirklichen. Einmal mit Carla Bley zu spielen, meine persönliche Jazzhymne ‚Lawns‘ mit ihr aufzunehmen, das war der Wunsch, den ich in eine E-Mail an Steve Swallow packte. Die Antwort zwei Tage später mit einem „Yes, let’s do it“ von Carla brachte alles ins Rollen. Steve und Carlas Tochter Karen kümmerten sich um ein Studio in Brooklyn, und ich bereitete die Reise nach New York vor. Aber vor allem kreiste wieder Carlas Musik in meinem Kopf. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, diese verrückt-schönen Stücke, geschrieben für eine Band mit Bläsern, Klavier und Orgel, auf meine Gitarren zu übertragen. Monate habe ich damit verbracht, die Logik der sechs Saiten zu überlisten und Carlas ungitarristische Musik mit meiner Klangästhetik zu verbinden. Selbst im Skiurlaub habe ich geübt und mich im E-Mail-Kontakt mit Carla und Steve ausgetauscht. Steve: „Du könntest dich eher beim Spielen von ‚Real Life Hits‘ verletzen als beim Skifahren.“ Mit der Erarbeitung und Aufnahme meiner Soloversionen habe ich mehrmals die Grenzen des mir möglich Geglaubten überwunden, und die Arbeit an der Solo-CD war fast wie noch einmal zu studieren.

Der Aufnahmetag in Brooklyn war sonnig und die Atmosphäre geradezu familiär. Carla hatte Gurken und kleine Tomaten aus ihrem Garten für mich mitgebracht und eine neue Klaviereinleitung für ‚Lawns‘ komponiert. Während Steves unverwechselbarer Basssound schon im Raum lag, freute sich Carla am warmen Klang des alten Steinway. Ich spielte meine Gitarre namens Carla und fühlte mich vom ersten Moment an entspannt und zu Hause in der Musik. Meine 15jährige Tochter Elsa, in genau dem Alter, in dem die Carla-Mania bei mir eingesetzt hatte, filmte und fotografierte und konnte zwei Musiker, die ihren Platz in der Geschichte der Musik längst gesichert haben, als unkomplizierte, freundliche Personen kennenlernen. Aber vor allem hat sie an diesem Nachmittag in Brooklyn noch etwas Besonderes entdecken können: den 15jährigen in mir. Rüdiger Krause

Wunderbar! Ich fühle mich geehrt, dass ein so phantasiereicher Gitarrist eine Reihe meiner Musikstücke bearbeitet und aufgenommen hat, und geschmeichelt, dass er seine Gitarre Carla genannt hat. Im Gegenzug werde ich mein Klavier Rüdiger nennen. Ich höre mich schon sagen: „Komm Rüdiger, spuck mir wieder eine von diesen verdammten Kompositionen aus, wie du es früher immer getan hast.“ Carla Bley

Es ist ein wirklich sorgfältig gemachtes Album, in jeder Hinsicht – die Wahl der Lieder, dein Spielen (und auch unseres), die wundervolle klangliche Vielfalt, die du aus den verschiedenen Gitarren herausgeholt hast, die formale Gestaltung, die Mischung. Ich wünsche dir viel Erfolg. Danke dafür, dass du so gut auf Carlas Musik achtgibst.
Sehr respektvoll gegenüber dem, was sie geschrieben hat, aber auch eine sehr erfinderische Transformation in Richtung Gitarrenmusik. Ich finde, du hast bemerkenswerte Arbeit geleistet, Carlas Musik auf diesem Instrument lebendig zu machen. Die ganzen Gedanken und die ganze Sorgfalt, die du in dieses Projekt reingesteckt hast, haben sich gelohnt und du kannst sehr stolz sein auf das, was du gemacht hast. Steve Swallow • Übersetzung: Miriamne Fields

EN
Wonderful! I’m honored that such an imaginative guitarist has chosen to arrange and record a series of my compositions, and flattered that he named his guitar Carla. In return, I’m going to call my piano Rüdiger. I can picture myself saying, „C’mon Rüdiger, spit out another one of those damn compositions you used to give me on a regular basis.“ Carla Bley
It’s really a carefully made album, in all its aspects – choice of songs, your playing (and ours too), the wonderful sonic variety you’ve gotten out of various guitars, the sequencing, the mix… I wish it great success. Thanks for taking such care with Carla’s music. Very respectful of what she wrote, but also a very inventive transformation into guitar music. I think you’ve done a remarkable job of bringing Carla’s music to life on that instrument. All the thought and care you’ve put into this project has turned out to be worth the effort, and you can be very proud of what you’ve done. Steve Swallow

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