2-CD JW 249 STEFAN SCHULTZE LARGE ENSEMBLE
THE BUCHLA SUITE – A HANDCRAFTED TRIBUTE TO MORTON SUBOTNICK

LEONHARD HUHN alto saxophone & clarinet
PETER EHWALD tenor & soprano saxophones
MAGNUS SCHRIEFL trumpet
ELENA KAKALIAGOU horn
ALMUT KÜHNE vocals
ROLAND NEFFE marimba & percussion
SHIAU-SHIUAN HUNG vibraphone & percussion
PETER MEYER electric guitar
STEFAN SCHULTZE piano & composition
FELIX HENKELHAUSEN double bass
TOM RAINEY drums

DE
Wie erfindet man etwas völlig neu, das es schon gibt? Und wie gestaltet man das dann so, dass man sich auf das Vorhandene zwar bezieht, daraus aber unter neuen Parametern trotzdem etwas völlig Eigenständiges macht. Die Quadratur des Kreises mag in der Mathematik ein Ding der Unmöglichkeit sein, in der Musik funktioniert sie durchaus. Das zumindest beweist das STEFAN SCHULTZE LARGE ENSEMBLE mit der Doppel-CD THE BUCHLA SUITE – A HANDCRAFTED TRIBUTE TO MORTON SUBOTNICK.

Zur Erinnerung, Morton Subotnick ist ein heute 90-jähriger amerikanischer Komponist, der ab 1963 in San Francisco mit dem Physiker und Instrumentenbauer Donald Buchla zusammenarbeitete. Mit dem nach Buchla benannten modularen Synthesizer nahm Subotnick 1967 das Album Silver Apples of the Moon auf, das zu den Initialwerken der elektronischen Musik gehört und in seiner klanglichen und strukturellen Komplexität bis heute unerreicht ist. Ohne Subotnicks visionäre Vorarbeit auf diesem und späteren Alben wäre die elektronische Musik heute nicht, was sie ist.
Das STEFAN SCHULTZE LARGE ENSEMBLE kommt in seiner Hommage an Morton Subotnick völlig ohne Synthesizer aus. Mehr noch, die Stücke des Albums sind zwar Annäherungen an Subotnick, aber keineswegs Übertragungen seiner Originale in einen akustischen Klangkörper. Im Gegenteil, Stefan Schultze ist Pianist, Ensemble-Leiter und Produzent, aber in allererster Linie Komponist. Sämtliche Parts der Buchla Suite stammen aus seiner Feder. Doch was hat diese Suite dann noch mit dem Buchla oder gar Morton Subotnick gemein? „Der Arbeitsprozess liegt darin zu versuchen, das Ensemble wie Oszillatoren aufzustellen“, erläutert Stefan Schultze. „Die Herausforderung besteht darin, Möglichkeiten zu finden, uns zu steuern. Wir versuchen, wie ein Synthesizer zu klingen.“

Was Schultze mit Subotnick verbindet, ist die Tatsache, dass er selbst ein Klangerfinder ist und nach unerforschten Möglichkeiten der Soundgewinnung sucht. Morton Subotnicks Silver Apples ist dafür gleichermaßen Inspiration und Ausgangspunkt, doch wäre es Schultze zu wenig, den Amerikaner einfach nur zu kopieren. Seine Art der Aneignung versteht sich als Prozess, der durch ein ganzes Schleusensystem geht, dessen Pegel immer wieder neu justiert wird. „In manchen Stücken, die ich geschrieben habe“, so Schultze, „stecken vielleicht 80 Prozent Morton. In anderen sind es nur 20 Prozent. Mir war von Anfang an klar, dass man sich an so einer starken Künstlerpersönlichkeit auch extrem verbrennen kann. Man kann nicht stupide versuchen, das Album nachzuspielen. Das hätte nicht funktioniert.“

Die Ab- und gedanklichen Vorläufe waren für jedes Stück anders. Für Schultze kam es darauf an, der Inspiration von Subotnick gerecht zu werden und der Identität des Ensembles trotzdem treu zu bleiben. Er selbst nennt diese Annährung einen Kommentar. Eine beachtliche und überaus reflektierte Formulierung in einem Zeitalter, in dem der Kommentar oft einen größeren Neuigkeitswert hat als die betreffende Neuigkeit selbst. „Zur Zeit werden Kommentare für mich wichtiger“, hält Schultze fest. „Wenn man auch mal etwas kommentiert und nicht immer nur aus sich selbst heraus denkt, gibt das einen starken Halt. Dadurch entstehen Beziehungssysteme, die man auf etwas Ursprüngliches zurückführen kann, das einem wiederum Kraft gibt. Überhaupt spielt Tradition für mich eine wichtige Rolle. Ich kann ja gar nichts schreiben, wenn es dazu keine Tradition gibt. Und mit Kommentaren kann man sich nicht verstecken. Man muss aus der Deckung kommen und sich mehr Mühe geben. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun.“

Der Prozess der Entstehung der Buchla Suite erstreckte sich über zwei Jahre. Während der Pandemie hatten die Mitglieder des LARGE ENSEMBLES nur wenig Gelegenheit, im echten Raum miteinander zu musizieren. In dieser Phase schnitt Schulze einzelne Schnipsel aus Subotnicks Aufnahme von 1967 aus, um sie an seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu verschicken. In diesem Zuge bat er sie, das Material anzuhören und ihm eine darauf beruhende Improvisation zu schicken. Als dann endlich Gelegenheit bestand, sich wieder im realen Raum zu treffen, spielte er bestimmte Parts von Subotnick an und versuchte diese mit dem LARGE ENSEMBLE weiterzuformulieren. Vieles erschloss sich über das reine Hören, was eine im ursprünglichen Jazz sehr übliche Praxis war. „In dieser Phase ging es nur darum“ erinnert sich Schultze, „die Musiker von dem Projekt genauso zu überzeugen, wie ich selbst es war. Als ich dann später eigene Musik schrieb, fügte ich zu den Noten immer noch kleine Aufnahmereferenzen zu bestimmten Teilen von Subotnicks Originalaufnahme hinzu, damit die Musiker sich zu dem Score Inspiration im Audio holen sollen.“

Während dieser Arbeit kam auch Morton Subotnick selbst ins Spiel. Es gab mehrere Treffen zwischen den beiden Komponisten, die für Schultze sehr inspirierend waren. Dabei kam für ihn vor allem der menschliche Faktor zum Tragen. Sich mit Menschen zu treffen, sich in Form einer kreativen Osmose gegenseitig zu inspirieren und, wie Schultze es ausdrückt, auf einer ganz tiefen Ebene völlig unlogisch zu verstehen, was da passiert, ist ihm noch wichtiger als die analytische Auseinandersetzung mit den Klängen und Abläufen innerhalb der Musik, auf die er sich bezieht. Grundsätzlich ist dieser menschliche Transformationsprozess das faszinierendste Moment in Schultzes Arbeit, egal ob es sich auf die Mitstreiter in seinen Gruppen oder auf einen Morton Subotnick bezieht. Letzterer war zudem ein Mann, der in erster Linie direkt mit seinem Gerät kommunizierte, aber Schultze übersetzt das in einen Kontext mit vielen sehr individuellen Stimmen. Es ist also nicht falsch, das LARGE ENSEMBLE in diesem Projekt als sozialen Synthesizer zu verstehen.

Das LARGE ENSEMBLE entstand ja nicht für das Subotnick-Projekt, sondern besteht nach verschiedenen früheren Varianten in dieser Form bereits seit 2017. Das konkrete Projekt wurde mit Leonhard Huhn an Altsaxofon und Klarinette, Peter Ewald an Tenor- und Sopransaxofon, Elena Kakaliagou am Horn, Magnus Schriefl an der Trompete, Roland Neffe an Marimba und Percussion, Shiau-Shiuan Hung an Vibrafon und Percussion, Peter Meyer an der elektrischen Gitarre, Felix Henkelhausen am Bass, Tom Rainey am Schlagzeug sowie Sängerin Almut Kühne und Schultze selbst am Klavier umgesetzt. Improvisation ist bei einer so hochkarätigen Besetzung natürlich ein zentrales Element. Schultzes Ziel besteht darin, die Musikerinnen und Musiker, mit denen er arbeitet, Visionen entwickeln zu lassen, die mit seinen Visionen übereinstimmen, selbigen aber auch gern mal davoneilen. „Manchmal klappt das und manchmal nicht. In diesem Ensemble klappt das sehr gut. Ich will ja gerade, dass sie mit meinen Ideen wegrennen und mich überraschen. Bei so einem Buchla Synthesizer steckt man ja auch manchmal ein Kabel irgendwo rein, ohne genau zu wissen, was passiert. Ich arbeite gerade deshalb mit anderen Menschen zusammen, weil sie Inputs geben, die ich mir nicht vorstellen kann. Ich kann nur ein Feld öffnen und hoffen, dass sie so geschmackvoll wie möglich damit umgehen.“
Neben der langen und facettenreichen Probenarbeit, die allein schon der Dokumentation wert wäre, den Konzerten – auf der jazzwerkstatt Peitz gastierte der kanadische Saxofon-Titan Colin Stetson mit dem LARGE ENSEMBLE – und dem vorliegenden Album ist auch ein dreitägiges Festival, das im November im Berliner Börne stattfinden wird, Teil von Stefan Schultzes Subotnick-Kommentar, dessen Erfahrung er wiederum in weitere Vorhaben mitnimmt.
Bedingungslose genuine Schöpfung als menschlicher Urimpuls – nichts anderes passiert auf THE BUCHLA SUITE – A HANDCRAFTED TRIBUTE TO MORTON SUBOTNICK. Aufbrechen im Bekannten, seine Vision nicht aus dem Auge verlieren, wissen, dass man ankommt, ohne jedoch vorhersagen zu können, wo das genau sein wird. Stefan Schultze ist mit seinem LARGE ENSEMBLE ganz sicher nicht den leichtesten Weg gegangen, aber sich mit ihm auf die Reise zu begeben, lohnt sich in jeder Hinsicht. Wolf Kampmann

EN
Squaring the circle may be an impossibility in mathematics, but it certainly works in music. At least that is what the Stefan Schultze Large Ensemble proves with the double CD „The Buchla Suite – A Handcrafted Tribute To Morton Subotnick“.
The American composer Morton Subotnick worked together with the physicist and instrument maker Donald Buchla in San Francisco from 1963 on. With the modular synthesizer named after Buchla, he recorded the album „Silver Apples To The Moon“ in 1967, which is still unmatched in its sonic and structural complexity.
In its homage to Subotnick, the Stefan Schultze Large Ensemble does completely without synthesizers. Stefan Schultze is a pianist and producer, but first and foremost a composer. Like Subotnick, he is also a sound inventor himself. All parts of the Buchla Suite were penned by him. „The challenge is to set up the ensemble like ten oscillators,“ Schultze says. „We try to sound like a synthesizer.“
Morton Subotnick’s „Silver Apples“ is both inspiration and starting point for this. For Schultze, it was important to do justice to Subotnick’s inspiration while still remaining true to the ensemble’s identity. He himself calls his approach a commentary. During this two-year process of creation, Morton Subotnick himself also came into play. There were several meetings between the two composers, during which, for Schultze, the human factor came into play above all. He calls this human transformation process one of the most fascinating moments in his work. Subotnick primarily communicated directly with his device, but Schultze translates this into a context with many individual voices and understands the Large Ensemble in this project as a social synthesizer.
Unconditional genuine creation as a primordial human impulse – nothing else happens on „The Buchla Suite – A Handcrafted Tribute To Morton Subotnick“. Setting out in the known, not losing sight of one’s vision, knowing that one will arrive, but without being able to predict where exactly that will be. Wolf Kampmann

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