CD jw 142 ERIC PLANDÉ
w./UWE OBERG & PETER PERFIDO
TOUCHING
ERIC PLANDÉ tenor & soprano saxophones, flute
UWE OBERG piano
PETER PERFIDO drums
DE
ELASTISCHES KOMPONIEREN
Schon in den ersten vier Minuten kann man viel über dieses Trio lernen. Man hört ein wunderbar nervöses, unruhiges Schlagzeug, das die Zwischenräume frickelnd und mit gebrochener Metrik füllt. Dazu die Direktheit des Saxofons, ein immer gespannter, ungemein gegenwärtiger Ton, in dem irrsinnig viel Kraft steckt. Und dann das Klavier, das erst einmal im Hintergrund bleibt, das gewissermaßen warten kann, vereinzelte Akkorde setzt, nach seinem Platz sucht – und ihn dann mit Wucht ergreift. Das Trio löst sich dabei nie in Soli auf, wohl aber in Dialoge, die aber weniger als Gespräch zu denken sind, als vielmehr ein Austausch von Energie.
Darkness from you heißt dieses Stück. Komponiert hat es der französische Saxofonist Eric Plandé, der hier mit dem in Wiesbaden lebenden Pianisten Uwe Oberg und dem amerikanischen Schlagzeuger Peter Perfido zu hören ist. Sein Herangehen an Musik, wie er sie baut und vor unseren Ohren entstehen lässt, beschrieb Plandé einmal als „elastische Art des Komponierens“. Er meint damit, dass er nur ein kleines musikalisches Thema vorgibt, eine Art Keimzelle, alles Weitere – alle Haken, alle Schlenker, das An- und Abschwellen, das In-, Mit- oder Gegeneinander der Stimmen – passiert während des Spiels.
Das ist für den zeitgenössischen Jazz, der die ganze Geschichte im Blick hat und auch alle Möglichkeiten der Improvisation völlig selbstverständlich einbezieht, eine sehr fruchtbare Arbeitsweise. Allerdings braucht es dafür Musiker mit offenen Ohren und Vertrauen zueinander.
Plandé, Oberg und Perfido haben sich 2009 gefunden, bei einem „first meeting“-Gig, wie er im improvisierten Jazz nicht ungewöhnlich ist. Die Drei merkten schnell, dass sie etwas eint. Die Lust nämlich, über den eigenen musikalischen Horizont hinaus zu schauen, sich von den Tönen des anderen forttragen zu lassen, ohne dabei seine eigene Position aufgeben zu müssen.
Das macht es möglich, dass die Musik noch in ihren vertracktesten Momenten immer klar bleibt und ganz selbstverständlich. Sie behauptet nichts, sondern entwickelt sich aus den kleinen Zellen, die Plandé, Oberg oder Perfido vorgeben. Das Verblüffende daran ist: Manches klingt wie frei improvisiert, ist aber sehr genau notiert, anderes wiederum hört sich auskomponiert an, entsteht aber tatsächlich vollkommen in diesem Moment. Es ist genauso unklar wie unerheblich, ob diese Ambivalenz ursprünglich einmal beabsichtigt war oder nicht. Sie beschreibt aber eine immense Qualität von Plandé, Oberg und Perfido, weil sich der vermeintliche Gegensatz von freiem und notiertem Spiel im organischen Fluss der Töne aufhebt.
Die Musik öffnet sich dabei in viele verschiedene Richtungen, ohne je beliebig zu werden. Sie sucht nach freien Feldern, in denen die Drei sparsamer umgehen mit ihren musikalischen Bewegungen und sich ihre Intensität mehr aufs Innen als aufs Außen richtet. Fields ist so ein Stück, das Uwe Oberg, Hessischer Jazzpreisträger von 2007, komponierte. Ghost dagegen ist vom hellhörigen, in seiner Brüchigkeit geradezu schillernden Schlagzeug Peter Perfidos aus gedacht – einem genauso versierten wie gefragten Musiker des zeitgenössischen Jazz, der schon mit Anthony Braxton, Gary Peacock, Chet Baker, Joe Fonda und Heinz Sauer zu hören war. Chaos wird dagegen von Eric Plandés lustvollem, explosiv-scharfkantigem Saxofon getragen, das ganz von der kraftvollen Geschichte seines Instruments durchdrungen ist.
Hier sind spürbar drei musikalische Individuen am Werk, jeder für sich mit einer ureigenen musikalischen Sprache, einer Identität, einer Spielhaltung. Und das Schöne ist: keiner von ihnen möchte das verleugnen. Alle Drei sind nur offen genug und vor allem viel zu musikalisch, um nicht in Konkurrenz zueinander zu treten. Und so verbindet sich auf TOUCHING, der ersten gemeinsame CD von Eric Plandé, Uwe Oberg und Peter Perfido, die aktuelle improvisierte Musik mit den mächtigen Einflüssen der Post-Coltrane-Ära. Aber auch das allein wäre vielleicht noch nicht einmal erstaunlich. Umwerfend ist, wie souverän das geschieht. Tim Gorbauch
EN
ELASTIC COMPOSITION
Much can be learned about this trio in the very first four minutes. What’s heard is a wonderfully nervous, restless drumming that tinkers in the in-between spaces with broken metrics. This is then joined with the directness of the saxophone, an extraordinarily current sound, always relaxed and filled with an amazing amount of power. And then there is the piano, hovering in the background with time to wait, playing only a few chords, seeking out its place – before seizing it with a vehemence. The trio never breaks down into solo moments, but instead engages in a dialogue that is less a conversation than an exchange of energy.
The piece is titled Darkness from you. It was composed by the French saxophonist Eric Plandé, who plays here with pianist Uwe Oberg, a resident of Wiesbaden, and the American drummer Peter Perfido. Plandé’s approach to music, the way he builds it up and lets it unfurl right before our ears, was once described by the composer as an „elastic style of composition.“ What he meant is that he provides nothing more than a small musical theme, a germ cell. All the rest – the hitches and meanderings, the swelling up and ebbing out, the intertwined voices, in unison and in opposition – occurs during the playing.
For contemporary jazz, which takes the entire history into account and incorporates everything that improvisation allows as a matter of course, this is a very fruitful work style. But it can only be played by musicians with an open ear and confidence in one another.
Plandé, Oberg and Perfido discovered each other in 2009, during a first-meeting gig, as often happens in the world of jazz improvisation. The three soon recognized that they shared something in common: The desire to look beyond their own musical horizons and let themselves to be carried off by the sounds of the other players without relinquishing their own position.
This allows the music to stay clear and natural even in its most intricate moments. It makes no claims, but instead develops out of the small cells that either Plandé, Oberg or Perfido provide. What’s astonishing is that there are some moments that sound freely improvised, even though they have been precisely noted. And then there are other situations that seem as if they have been composed, but which have actually been created right then and there. Whether this ambivalence was the composer’s original intention or not is as unclear as it is unimportant. But it shows the great skill of Plandé, Oberg and Perfido, because the assumed difference between improvised and written music disappears in an organic flow of sound.
The music branches out into many different directions without ever becoming arbitrary. It seeks out open fields where the three musicians are more sparing with their musical gestures and where the intensity is directed inward more than outward. Fields, composed by Uwe Oberg, recipient of the Hesse Jazz Award in 2007, is just such a piece. In contrast, Ghost originated from the clairvoyant and dazzlingly enigmatic drumming of Peter Perfidos – an experienced and much in-demand contemporary jazz musician who has been heard playing with Anthony Braxton, Gary Peacock, Chet Baker, Joe Fonda and Heinz Sauer. Chaos, on the other hand, is sustained by Eric Plandé’s passionate, explosively sharp-edged saxophone, which is strongly steeped in the powerful history of his instrument.
It is clear that three musical individuals are at work here, each one with his own musical language, identity and playing style. And the nice thing about it is: no one among them wants to deny this. All three are just open enough and above all, much too musical to not be in competition with one another. Hence TOUCHING, the first joint CD of Eric Plandé, Uwe Oberg and Peter Perfido, connects current improvised music with the powerful influences of the post-Coltrane era. That in itself may not astonish. What is amazing, however, is that this is done with such aplomb. Tim Gorbauch