CD jw 219 VANDERMARK – MUCHE – LEHN – BLUME
SOUNDBRIDGES

KEN VANDERMARK tenor saxophone & clarinet
MATTHIAS MUCHE trombone
THOMAS LEHN analogue synthesizer
MARTIN BLUME drums & percussion

DE
Live-Konzerte sind in Zeiten von Corona eine Rarität. Doch gerade bei einer Musikform, die von Improvisation und Interaktion im wahrsten Sinne ‚lebt‘, geht von ihnen eine besondere Magie aus: Sie sind ein audiovisuelles Erlebnis. Auf der vorliegenden Aufnahme kann man die Musiker zwar nicht sehen, man spürt aber ihre Energie und stellt sich bildlich vor, wie sie miteinander spielen, kommunizieren und einander zuhören.
SOUNDBRIDGES wurde am 24. September 2021 im Rahmen des ‚Ruhr Jazz Festival‘ im Bochumer Kunstmuseum aufgenommen. Die Bühne teilten sich an diesem Abend vier Musiker, deren Wege sich im Laufe der Jahrzehnte mehrfach kreuzten: Ken Vandermark, Matthias Muche, Thomas Lehn und Martin Blume. Und sie haben hörbar Spaß. Es geht sofort in die Vollen, als hätten sie eine Welt zu gewinnen: Shouts auf dem Saxofon und der Posaune werden von treibenden Rhythmen und analogen Synthesizersounds verstärkt. Eine Free Jazz-Attacke folgt auf die nächste. Nach vier Minuten kehrt plötzlich Stille ein, es ist die Ruhe nach dem Sturm. Signaltöne ‚from outer space‘, jäh unterbrochen durch laute Störgeräusche und bedrohliche Feedbacks, treffen auf Spaltklänge und Obertöne – untermalt von dezent eingesetzten Schlägen auf Trommeln, Glocken und diversen anderen Gegenständen. So geht es über die kommenden 50 Minuten weiter: ein stetiger Wechsel zwischen ruhigen und dynamischen Parts, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren – bis hin zu einer lauten Explosion, die nach 35 Minuten als Klangbrücke den Fluss der Klänge aufrecht erhält.
Auch wenn es so gut wie keine Vorgaben gibt, bewegen sich die vier Musiker nicht im luftleeren Raum. Sie können auf gemeinsam gemachte Erfahrungen auf der Bühne oder im Studio zurückgreifen. Hinzu kommt, dass das vorliegende Konzert den Schlusspunkt einer kurzen Tournee bildet. Und wie so häufig in der improvisierten Musik klingen die anderen Konzerte nach: Entsprechend intuitiv ist das Zusammenspiel und so entsteht ein filigranes und doch komplexes Klanggebilde, das durch ein imaginäres Band zusammen gehalten wird.
Der Titel SOUNDBRIDGES spielt übrigens auf eine Technik an, die aus dem Kino bekannt ist. Dabei geht es um semantische und referentielle Dynamisierungen, sowie um die Beschleunigung und Überlagerung mehrerer Szenen – oder im Fall der Musik: mehrerer Stücke. Die Titel weisen nicht nur auf die filmischen Vorbilder hin – The Thirty-Nine Steps ist eine Hommage an Hitchcocks gleichnamigen Film – sie spielen auch mit der Technik: Aperture, Arc Shot oder Overlapping Edges. Die Übergänge sind entsprechend fließend, es gibt kaum Brüche, es entsteht stattdessen eine Gleichzeitigkeit, auch dort, wo bereits die nächste, radikale Wendung erklingt: Das Echo verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft und lässt den/die Hörer*in Freiräume für eigene (Audio-)Visionen. Fortsetzung ausdrücklich erwünscht! Holger Pauler
EN
Live concerts have become a rarity in times of Corona. For a music form that practi-cally ‚lives‘ from improvisation and interaction, a special magic emanates from con-certs: They are an audiovisual experience. On this recording, you can’t see the musi-cians, but you can feel their energy and imagine them playing together and communi-cating and listening to each other.
SOUNDBRIDGES was recorded on September 24, 2021 as part of the ‚Ruhr Jazz Festival‘ at the Bochum Art Museum. Sharing the stage that evening were four musicians whose paths have crossed several times over the decades: Ken Vandermark, Matthias Muche, Thomas Lehn and Martin Blume. And the fun they are having is audible. They go straight into full swing, as if they had a world to win: Shouts on the saxophone and trombone are amplified by driving rhythms and analog synthesizer sounds.
One free jazz attack follows the next. After four minutes things suddenly quiet down again – the calm after the storm. Signal tones ‚from outer space‘, abruptly interrupted by loud noise and threatening feedbacks, meet tonal fissures and overtones accom-panied by the discreet beating on drums, bells and various other objects. It continues like this for the next 50 minutes, constantly fluctuating between the calm and dynamic parts, without ever losing its footing. And then culminates in a loud explosion, which after 35 minutes functions like a sound bridge that keeps the music flowing.
Even though there are almost no guidelines, the four musicians don’t move in a vacu-um. They are able to draw on shared experiences from the stage and studio. The present concert also marks the end of a short tour. And as is so often the case with improvised music, the other concerts continue to resonate here: The interplay is intui-tive, creating a delicate, yet complex sound structure that is held together by an imaginary band.
The title SOUNDBRIDGES, by the way, is a reference to a technique known from the cinema. It involves semantic and referential dynamics, as well as the acceleration and superimposition of different scenes – or in the case of the music, different pieces. The titles not only allude to cinematic archetypes – The Thirty-Nine Steps is an hom-age to Hitchcock’s film of the same name – they also play with the technique: Aper-ture, Arc Shot or Overlapping Edges. The transitions are correspondingly fluid and there are hardly any breaks. Instead, a simultaneousness is created, even as the next radical turn resounds: The Echo connects the past with the future while leaving lis-teners space to develop their own (audio) visions. A sequel is strongly welcome! Holger Pauler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert